28.11.2024, 21.01 Uhr, soeben hat der Kollege K. nach mehreren Stunden vergeblicher Uploadversuche, verzweifelten Emails und einer hamburgweit abgesagten Siegergala endlich die letzten Klassenergebnisse des 7. Hamburger MINT-Wettbewerbes hochgeladen. Geschafft schaltet er seinen in die Jahre gekommenen, aber doch weitgehend zuverlässigen Computer aus. Potentielle Schlagzeilen der Boulevardpresse wabern durch sein nun doch umnebeltes Hirn. „Hamburger MINT-Tag an digitaler Kompetenz gescheitert“, „Hat technische Bildung bei uns eine Zukunft? – „MINT-Wettbewerb verzweifelt am Internet“, „Hamburger MINT-Tag ist offline – China bietet Hilfe an“, usw.
Will ich das wirklich so sehen? Nein!
Denn es begann doch ganz anders: 28.11.2024, 7.59 Uhr, Gymnasium Hoheluft, Standort Telemannstraße. Letzte Schüler:innen huschen auf den Gängen in Richtung ihrer Klassen, werden gewahr, dass heute nichts ist wie sonst. Gespannte Erwartung wächst. Manche fragen sich , ob das über Wochen gesammelte Kopierpapier wohl zur Bearbeitung der Aufgabe ausreichen wird. Doch noch kennt niemand die beim heutigen Wettbewerb des MINT-Tages zu bewältigende Aufgabe. 8.15 Uhr: Die unterrichtenden Kolleg:innen holen die Wettbewerbsaufgabe, das Material und letzte Instruktionen ab. Die Spannung steigt und nun endlich die Aufgabe, die alle teilnehmenden Klassen heute in Hamburg zeitgleich bearbeiten: „Baue aus dem Papier und etwas Klebeband einen freistehenden Baum, der möglichst hoch ist und möglichst viele Äste mit vielen Verzweigungen hat. Die Blätter dürfen nur im Ganzen verarbeitet werden.“ Und schon sehe ich alle, aber auch wirklich alle Schüler:innen tüfteln, diskutieren, planen, verwerfen, neu planen, umplanen in intensiver Betriebsamkeit. Was gäbe ich darum, diesen Moment gemeinsamen begeisterten Schaffens in den Klassen in jede Stunde meines Unterrichtsalltags transformieren zu können? Ja, so begeistert kann Lernen sein!
Dann beginnt die „Bastelzeit“, 35 Minuten nach der Stoppuhr, in der die Entwürfe zum Leben erweckt werden sollen.
Und ich sehe in den Klassen Bäume und Sträucher in den Himmel wachsen. Zweig um Zweig wird an den Stamm gefügt. Manche, die zu schnell zu hoch hinauswuchsen, straucheln, einige fangen sich und können stabilisiert werden, andere fallen, ach zu schnell, die sich doch gerade anschickten, durch die Zimmerdecke wachsen zu wollen. Wer wollte diese metaphorischen Bilder nicht darin sehen?
Der Gong ertönt, die Bastelzeit ist um, nun werden die Bäume bewertet. Und wieder branden die Diskussionen auf: Gilt das als Zweig oder ist der dafür zu kurz? Ist das schon eine Verzweigung oder noch der Stamm? Usw. Auch die Kolleg:innen werden hier in ihrer Einschätzung gefordert und müssen bei Unklarheiten richten. Doch in allen Klassen gibt es viele Sieger. Diejenigen, deren Baum aus dem in jeder Klasse entstandenen Wald heraussticht und vor allem alle, die in diesen intensiven 90 Minuten über sich hinausgewachsen sind.
Und dann? Ja, dann holten uns Kolleg:innen die Widrigkeiten des digitalen Alltags wieder ein, der Upload der Ergebnisse funktioniert nicht.
Schade.
Aber mal ehrlich, war das wirklich entscheidend? Ich behaupte nein, und wer´s anders sieht, mag versuchen, mich zu überzeugen. Ich jedenfalls vertraue weiterhin darauf, dass sich unsere Schüler:innen doch irgendwie für Naturwissenschaften begeistern lassen.
Autor: Herr Krönert